Geschichte der Orgeln in der Stiftskirche Freckenhorst


Die frühesten Zeugnisse und Orgelneubauten in der Barockzeit

Die Geschichte der Orgeln in der Stiftskirche Freckenhorst lässt sich über mehrere Jahrhunderte zurückverfolgen, wenn auch die Anfänge nur lückenhaft dokumentiert sind.
1552 wird in den Ausgaben einer Kirchenrechnung das Vorhandensein einer Kirchenorgel erwähnt. 1607 musste die Orgel, die sich im nördlichen Kreuzarm befand, durch einen unbekannten Orgelbauer instandgesetzt werden. Vom Kirchspiel war der für damalige Verhältnisse große Betrag von 30 Reichstalern beigesteuert worden. Bei der Raumaufteilung des Gotteshauses bestimmte eine Regelung vom 10.10.1660, dass der Chorraum und das südliche Kreuzschiff der Äbtissin und dem Stift allein und das nördliche Kreuzschiff wegen der damals noch dort stehenden Orgel auch der Gemeinde diene, während letzterer das Langhaus allein zufalle (Jubiläumsschrift 1979, S. 104).

Nach dem Niedergang des kirchlichen Lebens während des dreißigjährigen Krieges besserte sich unter der aus einem Tiroler Grafenhaus stammenden Äbtissin Claudia Seraphica von Wolkenstein-Rodeneck (1645-1688) das Kirchenwesen in Freckenhorst, obwohl sie wegen ihrer vielen Pfründe nur selten in Freckenhorst weilte. Im Westchor wurde im Jahre 1651 eine Orgelbühne errichtet. 1657 wurde mit dem Bielefelder Meister Hans Henrich Reinking der Neubau einer Orgel vereinbart („wegen deß newen orgels contrairet“), die um 1661 fertiggestellt war. Reinking gehörte einer bedeutenden Orgelbauerfamilie an, der etwa 50 Orgelbauten in Westfalen und Nordwestdeutschland zugeschrieben werden (Reuter S. XXI u. S. 299). Im Jahr 1683 mussten aus der Kirchenkasse, „pro reparatione einigen Schadens am orgell so die Weberknechte auff guten Montag verursacht“ hatten, an einen Orgelbauer 4 Reichstaler gezahlt werden.

Am 10.11.1706 wurde wegen zunehmender Störanfälligkeit des Instruments mit dem Orgelbauer Henrich Mencke aus Beckum ein Vertrag zum Orgelneubau abgeschlossen, der heute noch als Archivalie vorliegt; 1711 war das Instrument fertiggestellt. Mencke war, wie Reinking, Begründer einer bekannten Orgelbauerfamilie, die ihre Wohn- und Arbeitsstätten später nach Minden und Osnabrück verlegte (Gruhn 1983). Die Kosten für das Instrument von 795 Reichstalern wurden von mehreren Kanonikern, aber auch zahlreichen Freckenhorster Privatpersonen, u.a. auch durch Kollekten, aufgebracht. Unterlagen hierzu werden im Staatsarchiv Münster aufbewahrt. Der Orgelprospekt, an dem der Kleinschnitzer Ambrosius Borchartz aus Einen beteiligt war, wurde gestiftet von der Äbtissin Hedwig von Korff-Sutthausen (1688-1721).
Mencke hatte die alte Reinking-Orgel für 20 Rtlr. In Zahlung genommen, durfte aber von diesem Instrument keine Teile für den Neubau verwenden. Es entstand eine zweimanualige Orgel mit insgesamt 19 Registern, die auf ein Hauptwerk mit elf Registern und ein Rückpositiv verteilt waren. Es fehlte ein selbständiges Pedalwerk. Das Hauptwerk verfügte über eine Springlade, das Rückpositiv über eine Schleiflade. Der Prinzipalchor auf 8`- Basis wurde nach unten durch einen Bordun 16` erweitert und im Diskant mit 3 Mixturen (Sesquialter 3fach, Mixtur und Zimbel) abgeschlossen. Im Rückpositiv disponierte Mencke neben den Prinzipalchor auf 4`-Basis bis zur Quinte 1-1/2` ein Gedackt 8`, die in Westfalen gern gebrauchte Flaut douce 4`, dazu Krummhorn 8` und als Klangkrone die Mixtur. Die Freckenhorster Orgel war vermutlich das erste Instrument, das Mencke anfertigte. Johann Patroclus Möller, mit dessen Werken der westfälische Orgelbau einen Höhepunkt erreichte, war wahrscheinlich einer seiner Schüler. Bis zum Jahr 1744 war das Freckenhorster Instrument in der Pflege der Orgelbauerfamilie Mencke.

Veränderungen an der Mencke-Orgel

In den Folgejahren waren mehrfach Reparaturen erforderlich (u.a. auch durch Rattenplagen), aber auch Neustimmungen, Ergänzungen und Umbauten. 1737 erhielt der Orgelmacher Heilmann aus Herbern für Reparaturen 54 ½ Taler. Zwischen 1753 und 1763 wurde der Orgelbauer Johann Heinrich Lufft (oder Lüffe) aus Olfen mit verschiedenen Reparaturen beauftragt. Bis 1775 war dann die Orgelbauerfamilie Heilmann mit jährlichen Wartungsarbeiten an der Freckenhorster Orgel beschäftigt.
Eine wesentliche Veränderung der Mencke-Orgel erfolgte 1785 durch den Münsteraner Orgelbauer und Domorganisten Franz Adolph Schöningh. Er fügte der Orgel als selbständige Pedalstimme eine Posaune 16` hinzu und nahm eine Änderung der Disposition vor. Eine weitere größere Reparatur wurde durch ihn 1788 vorgenommen.
Von der Äbtissin Franziska Lucia von Korff (1763-1799) wurden zu dieser Zeit für die „Illumination“ der Orgel (farbiger Anstrich, vermutlich im Stil der Zeit weiß mit Gold) 100 Taler an einen Meister Sporing gezahlt. Der frühere Dechant Schwieters (Das Kloster Freckenhorst und seine Äbtissinen) berichtet über eine Inschrift mit Hinweis auf das Jahr 1785 (Chronosticon) an der Orgel oder am Orgelbühnen-Geländer:
Organa LUCesCant, LUCIa Dante VIgesCant
DUrent aUCta binIs Integra pULChra tinIs.

Im Jahr 1812 legte der Beckumer Orgelbauer und Organist Johann Hermann Dreymann aus Beckum einen Kostenanschlag zu einer Reparatur in Höhe von 42 Rtl. vor, über deren Ausführung aber keine weitergehenden Informationen vorliegen. Dessen Sohn und Schüler Bernhard ließ sich in Mainz nieder und erwirkte dort zusammen mit seinem eigenen Sohn eine Hochblüte der Orgelbaukunst; so kann für mehrere bedeutende Orgelbaumeister der Barockzeit eine Herkunft aus Beckum belegt werden. 
Größere Veränderungen an der Stiftskirchen-Orgel wurden 1841 – 1843 durch den in Warendorf wohnenden Orgelbauer Franz Henrich Pohlmann durchgeführt. Er entfernte bei dieser Maßnahme das Rückpositiv und richtete im umgestalteten Hauptwerksgehäuse ein Positiv als Nebenwerk ein. Dabei entfernte er auch die alten Windladen und ersetzte diese durch neue Schleifladen.
Durch eine Initiative des Organisten Ignatz Ahlers eingeleitet erfolgte 1891 ein erneuter Umbau der Orgel für 3.000 Mark. Sie wurde durch den Orgelbauer Friedrich Fleiter aus Münster auf 23 Register und ein reicher besetztes Pedalwerk erweitert. Bearbeitungen durch diese Firma lassen sich bis 1932 nachweisen.
Der Organist Alfred Breitenstein begleitete den erneuten Umbau der alten Orgel in den Jahren 1936-1937 durch die Firma Franz Breil (Dorsten). Das nun dreimanualige Instrument verfügte über 36 Register auf elektropneumatischen Kegelladen, wobei zunächst einige historische Pfeifenreihen übernommen wurden. Bereits kurz nach der Orgelweihe am 25. April 1937 wurden aber nachträglich einige alte Register gegen neue Pfeifenreihen eingetauscht.

Die Breil-Orgel von 1964

Im Zuge der Umgestaltung der Stiftskirche zwischen 1957 und 1963 wurden das alte Instrument und die Orgelempore entfernt, um die romanischen Arkadenöffnungen aus der Erbauungszeit der Kirche freizulegen. Der bisherige barocke Orgelprospekt sollte ursprünglich für die Dominikanerkirche in Münster bereitgestellt werden, wurde dann aber zunächst bei der Orgelbaufirma Breil in Dorsten eingelagert, die dann auch den Orgelneubau im nördlichen Kreuzarm der Kirche ausführte. Dabei wurde kein altes Material aus dem Vorgängerinstrument verwendet. Ein Teil der alten Orgelpfeifen wurde an die St. Andreaskirche in Essen verkauft. 
Gestaltung, Disposition und Intonation der neuen Orgel wurden in Verbindung mit dem Bischöflichen Bauamt und dem Landesdenkmalamt vorbereitet von Hermann Fischer und Rudolf Reuter, Münster. Der Klangkörper der Manuale war unter Berücksichtigung der beiden Fensteröffnungen auf die Mitte der Querschiffswand ausgerichtet. Das Pedal wurde mit Rücksicht auf die Seitenapsis asymmetrisch links vom Hauptkörper aufgestellt; dadurch war allerdings die Klangabstrahlung des Orgelwerks in das Kirchenschiff beeinträchtigt.
Die neue Orgel wurde am 26. Juli 1964 eingeweiht. Sie umfasste 40 klingende Register auf 3 Manualen und Pedal mit insgesamt 3.200 Pfeifen. Das Werk hatte Schleifladen mit mechanischer Spieltraktur und elektrischer Registrierung. Strukturell stand sie in der Tradition des norddeutschen Orgeltyps.

Eine grundlegende Überholung und Reinigung dieses Instrumentes erfolgte 1995 mit einem Kostenaufwand von ca. 100.000 DM. Dabei wurden einige Pfeifenfüße verstärkt, eine Schwellwand im Hauptwerk eingeführt, der Winddruck erhöht und eine Dispositions-Umstellung im ersten Manual mit Austausch von drei Registern vorgenommen (u.a. ein neues Hautbois). Die Wiedereinweihung der nun klanglich deutlich verbesserten Orgel fand beim Osterfest 1995 statt.

Eine neue Orgel im alten Gehäuse – die Bensmann-Orgel in Nordwalde

Als 1996 die Kirchengemeinde St. Dionysius in Nordwalde einen Orgel-Neubau plante und der Organist der Gemeinde, Thorsten Schlepphorst, auf das Gehäuse der alten Mencke-Orgel im Lager der Firma Breil aufmerksam wurde, fanden sich auch noch 40 Pfeifen aus der alten Orgel, die dann nach Freckenhorst zurückgebracht wurden. Von diesen wurde ein Teil (8-Fuß-Register Flute traversiere) 2001 in das Haupt-Manual der Breil-Orgel im Austausch gegen ein altes Register eingefügt.

Der in Dorsten wiederentdeckte Hauptwerksprospekt der Barock-Orgel von Mencke wurde an die Pfarrkirche St. Dionysius in Nordwalde übertragen. Durch den Orgelbauer Dieter Bensmann wurde im Inneren des alten Gehäuses ein neues Orgelwerk als Rekonstruktion einer westfälischen Barockorgel eingebaut – in der dort durchgeführten Konsequenz ein Novum für das Münsterland. Die Namen und die Zahl der Manual-Register entsprechen fast genau denen der alten Mencke-Orgel. Grundlage war der im Archiv noch erhaltene Vertrag Menckes mit dem Stift Freckenhorst aus dem Jahr 1706. Menckes Orgel hatte nur ein angehängtes Pedal besessen, daher wurden fünf weitere Register für ein unabhängiges Pedal neu geschaffen. Die neue Orgel wurde ergänzt um ein stilistisch passendes Rückpositiv; hier und im Hauptwerk fügte Bensmann jeweils ein 4-Fuß-Flötenregister hinzu, womit man auch Menckes Vorstellungen entsprach, die er bei seinen späteren Orgeln verwirklicht hatte. Am 22.10.2000 wurde diese neue Orgel in Nordwalde eingeweiht.

Entscheidung für einen Orgel-Neubau in der Stiftskirche

Die Breil-Orgel in der Stiftskirche entwickelte nach 2010 einen zunehmend schlechten und dringend renovierungsbedürftigen Zustand. Dazu hatten wie in vielen anderen Kirchen Kerzenruß, Staub nach Baumaßnahmen, Feuchtigkeit, Heizungsluft und stark wechselnde Temperaturen beigetragen. In Verbindung mit der Feuchtigkeit hatte sich ein schmieriger Film gebildet, der durch den Ventilator in die Windladen gezogen war und sich nicht mehr entfernen ließ. Dabei hatte sich an vielen Stellen, auch an der Klaviatur, Schimmel ausgebildet. Einige der mit Zinn-Blei-Legierung versehenen Pfeifen waren bereits umgeknickt. Dichtungen am Pfeifenwerk waren teilweise zersetzt, auch die Windladen waren durchlässig geworden. Durch die offene Verdrahtung im Unterbau der Orgel bestanden auch Sicherheitsmängel, gefährliche Kurzschlüsse an den elektrischen Leitungen konnten nicht mehr ausgeschlossen werden. Die Tasten sprachen teilweise nur noch schwer an. Bauliche Veränderungen im Kirchengebäude wie der Altar-Umbau 2005 führten zu starken Staubbelastungen, die auch durch eine Staubwand nicht vollständig verhindert werden konnten. Insbesondere aber der ungünstige Standort nahe an der Wand des nördlichen Kreuzarms mit hoher Wand- und Boden-Feuchtigkeit war eins der Hauptprobleme, mit denen das Instrument zu kämpfen hatte.
Klangbeispiele aus den letzten Tagen der Breil-Orgel, die vom damaligen Kantor Martin Geiselhart eingespielt wurden und die den schlechten Zustand des Instruments hörbar machen, sind auf Youtube zu finden unter folgenden Links:
https://youtu.be/i4IPt9aY0-c
https://youtu.be/fHqBGbgHNzk
https://youtu.be/iBDCLOlbTtw
https://youtu.be/vKTmJD3Lr1U

Aufgrund der Gesamtschäden entschied man sich im Vorstand der Kirchengemeinde 2014 für einen Neubau unter Verwendung alter Bauteile. Bei der Vorbereitung sollten wegen des Finanzierungsaufwandes neben der Kirchengemeinde und dem Bistum alle Freckenhorster mit ihren Verbänden und Vereinen mit einbezogen werden. Für den entsprechenden organisatorischen Rahmen wurde hierzu Ende 2014 der Orgelbauverein gegründet (s. unter „Rückblick“). Für die Umsetzung erhielt nach Sichtung mehrerer Angebote die Orgelbaufirma Seifert aus Kevelaer den Zuschlag. Nach ausgiebigen Vorarbeiten in der Kirche (Bodenarbeiten mit Erstellung eines feuchtigkeitshemmenden Fundaments und neuer Anstrich im Nord-Querschiff der Stiftskirche) wurde das Instrument im Herbst 2017 aufgebaut und intoniert. Die Einweihung erfolgte am 2. Dezember 2017 (s. unter „Die neue Orgel“)

Quellen:

Julius Schwieters: Das Kloster Freckenhorst und seine Äbstissinen, Warendorf, 1903
Ders.: Nachrichten über Freckenhorst, Hrsg. Wilhelm Grabe unter Mitarbeit von Walter Schüller

Festschrift 1100 Jahre Freckenhorst, 1951

Rudolf Reuter: Orgeln in Westfalen, Inventar historischer Orgeln in Westfalen und Lippe, Kassel 1965

Festschrift 100 Jahre Cäcilienchor St. Bonifatius – 1972

„Kirche und Stift Freckenhorst“ – Jubiläumsschrift zur 850. Wiederkehr des Weihestages der Stiftskirche in Freckenhorst am 04. Juni 1979

Schriftreihen des Freckenhorster Heimatvereins:
Klaus Gruhn – Zur Geschichte der Orgeln in der Freckenhorster Stiftskirche – Heft 3, Mai 1983
Klaus Döhring – Orgeln in Freckenhorst – Heft 12, Dezember 1997
Heft 18, Juli 2007: Jürgen Behrens – Tod und Wiedergeburt einer Königin

Klaus Döhring – Der Orgelbau im Kreis Warendorf – QFW Band 29, Warendorf 1995